Aktuell ist eine gute Zeit zum Lesen, denn inzwischen habe ich einen großen Teil meines Leseziels erreicht, das liegt an meiner inneren Motivation und den wirklich tollen Geschichten, die mich die letzten Monate begleiteten. Auch der folgende Roman, den ich am Sonntagnachmittag zur Hand nahm, hat mich so fesseln können, dass ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen habe. »Am See« von Maria Barbal wurde im April im Blessing-Verlag veröffentlicht und erzählt von der zwölfjährigen Nora, die gemeinsam mit einer Gruppe bekannter Leute, regelmäßig an den See fährt und Beobachtungen macht, die irgendwann das abrupte Ende ihrer Kindheit bedeuten.
Inhalt zusammengefasst
Herrliche Sommertage in den katalanischen Pyrenäen: Nora ist zwölf Jahre alt und schwimmt für ihr Leben gern. Dieses Vergnügen bringt sie viele Sonntage bei warmem Wetter an den See. Mit dabei sind nicht ihre Eltern oder Freunde, sondern der fünfjährige Quim mit seinen Eltern Joaquim und Marieta sowie seiner Großmutter Milagros und Lídia mit ihrem Ehemann. Nora genießt die Stunden am See und beobachtet die Erwachsenen, die sie begleiten. Sie erkennt ihre Sehnsüchte und bekommt ein Gefühl für die Verbindungen untereinander. Auch wenn sie in ihrem jungen Alter vieles nicht einordnen kann, bedeuten die Sonntage am See das Erwachen aus ihrer Kindheit.
Wie war »Am See«?
Ich hätte nicht erwartet, dass mich dieser kompakte und eher unscheinbare Roman so bereichern könnte. Natürlich habe ich die Geschichte gelesen, weil sie mich neugierig macht, auch, weil es mein erstes Buch einer katalanischen Schriftstellerin ist, dennoch konnten mich die nur 170 Seiten vollends beeindrucken. Zunächst scheint es fragwürdig, dass ein zwölfjähriges Mädchen ihre Sonntage ohne Eltern mit Erwachsenen verbringt, die nicht zu ihrer Kernfamilie gehören. Das war mein Eindruck, als ich begonnen habe zu lesen. Auch wenn Joaquim der Cousin ihrer Mutter ist, steht sie ihm nicht sehr nah. Es ist vor allem Lídia, in der Nora eine enge Bezugsperson sieht und mit der sie fast freundschaftlich verbunden ist, was aufgrund des Altersunterschieds ungewöhnlich scheint. Marieta, die Frau von Joaquim, wird von ihrem Mann eher herablassend behandelt und auch von ihrem fünfjährigen Sohn Quim, wird ihr vor allem Ablehnung zuteil. Milagros, die Mutter von Joaquim, wird von diesem ebenfalls stetig zurechtgewiesen und es macht den Eindruck, als wäre sie nur ihm zuliebe bei den Ausflügen am See anwesend.
Lídia reist zunächst allein mit den fünf anderen, ehe ihr Mann mit Hund sich zu der Gruppe gesellt. Sie wird als sehr begehrenswerte Frau beschrieben, deren natürliche Schönheit viele Menschen in ihren Bann zieht. Ihre Ehe scheint dem Alltag zum Opfer zu fallen, was sich an den vielen Unstimmigkeiten mit ihrem Mann zeigt. Joaquim hingegen hat ein Auge auf Lídia geworfen, er beobachtet sie heimlich, fühlt sich wohl in ihrer Nähe und verhält sich ihr gegenüber zärtlich. Nora nimmt viele Stimmungen der Anwesenden wahr, auch wenn sie diese nicht verstehen kann. Quim ist ein lebhaftes und forderndes Kind, das Nora gehörig auf die Nerven geht und nur von Lídia beruhigt werden kann. Und er ist es auch, der Nora in einem kurzen Augenblick unfreiwillig neue Blickwinkel beschert.
Die große Stärke des Romans ist seine Leichtigkeit und die subtile Erzählweise der Autorin, die gedanklich laue Sommerabende im Kopf entstehen lässt und ein zurückhaltendes Drama schafft, das anders verläuft, als womöglich erwartet. Denn die Erzählung lebt von seiner Atmosphäre und stellt die Handlung selbst damit an den Rand des Geschehens. Bis zum Schluss bleibt der Roman in seiner Handlungsweise unaufdringlich, deutet an und liefert gegen Ende ein Ereignis, das nebensächlich erscheint und die Nora dennoch nachhaltig verändert. Maria Barbal hat eine bildhafte Sprache, die Leser*innen sich das sommerliche Setting am See genauer vorstellen lässt. Sie konstruiert Figuren, die lebhaft dargestellt werden und deren Charaktere sie gekonnt zu beschreiben vermag. An einem Sonntagnachmittag konnte mich das 176-Seiten-Buch durch seine leichte Sprache und unterhaltsame Geschichte vollends mitnehmen.
Fazit
Sommerleichte Geschichte, die von einem Moment erzählt, der Kindheit vom Erwachsenwerden trennt und von seiner berauschten Atmosphäre zehrt.
Maria Barbal
Maria Barbal, geboren 1949 in Tremp, Spanien, ist eine katalanische Schriftstellerin. 1964 studierte Barbal in Barcelona Philologie und war dann als Lehrerin tätig. Die ersten ihrer Bücher erschienen in den 1980er Jahren. In Katalonien gewann sie bereits mehrere Preise für ihre Werke. Maria Barbal gilt als wichtige zeitgenössische Autorin der katalanischen Sprache.
Am See
von Maria Barbal
Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum
im Original erschienen unter dem Titel »Al Llac«
Blessing | 2024| 176 Seiten
Hardcover | ISBN: 978 3 89667 755 6 | 24.00€
Zum Buch
Mein Dank für das Rezensionsexemplar geht an den Blessing-Verlag und das Bloggerportal.
Marie meint
Liebe Zeilentänzerin,
deine Rezension spricht mich total an. Das Buch klingt ganz wunderbar.
Danke für diese schöne Rezension und dass du mir ein Buch nahe gebracht hast, dass ich vorher noch nicht entdeckt habe.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.
Liebe Grüße
Marie
Zeilentaenzerin meint
Danke für das schöne Kompliment, liebe Marie, das lese ich gerne!
Ich wünsche dir auch ein wundervolles Wochenende!