Der Riss in der Wand - Ina Maschner

Hallo zusammen, ich verabschiede mich an der Stelle in meine Sommerferien, dennoch werden in aller Regelmäßigkeit Buchbesprechungen folgen, die ich vorgeplant habe. So gibt es auf meinem Blog keinerlei Veränderungen. Ich habe gefühlt so viel gelesen, wie lange nicht mehr. So auch das folgende Debüt, das mich sehr begeistern konnte, soviel sei schon einmal vorweg genommen. »Der Riss in der Wand« von Ina Maschner, veröffentlich Ende letzten Jahres im Diederichs-Verlag. Geschildert wird die schwierige Beziehung einer jungen Frau zu ihren Eltern und der Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit.

Inhalt zusammengefasst

Hedwig ist 26 Jahre alt und lebt noch bei ihren Eltern. Sie blickt auf eine Kindheit zurück, die von psychischem Missbrauch, starken Regeln und emotionaler Abhängigkeit geprägt war. Dennoch hält sie die Familie zusammen, vor allem, nachdem ihr Bruder Franz, weil er es nicht mehr aushielt, ausgezogen ist und scheinbar alles hinter sich gelassen hat. Hedwig fühlt sich in dem Haus ihrer Eltern eingesperrt, träumt sie doch davon auf die Wiener Kunstakademie zu gehen. Die junge Frau ist durch ihre Erlebnisse in der Kindheit und Jugend traumatisiert, sehnt sich nach Freiheit und Selbstbestimmung. Als bald die Wände im Haus Risse bekommen, verändert das Hedwigs Blick auf ihr Leben.

Früher hatten wir Kanarienvögel. Alle Jahre wieder. Weiße, gelbe, orange, rote. Obwohl diese Tiere als lebhaft und zutraulich galten, waren unsere menschenscheu. Allesamt. Egal, was ich damals versuchte, die Lebensdauer, die bei diesen Vögeln bis zu zwölf Jahren ging, erreichten sie nicht mal ansatzweise. Sie starben bereits nach kurzer Zeit. Jetzt war mir der Grund dafür klar: In unserem Haus lebte man nicht, sondern man siechte dahin und ging dann ein.

Seite 143

Wie war »Der Riss in der Wand«?

Triggerwarnung: Psychischer Missbrauch, Manipulation und Emotionale Abhängigkeit durch das Elternhaus, Psychische Erkrankungen

Über Debüts freue ich mich immer und auch dieses Buch ist eines. Ina Maschner hat einen klugen und sehr düsteren Roman geschrieben, der von seiner Atmosphäre lebt und ein Thema zum Inhalt hat, das mich zum Setzen einer Triggerwarnung veranlasst hat. Die Protagonistin, Hedwig, lebt mit ihren sechsundzwanzig Jahren noch im Haus ihrer Kindheit und somit unter dem Dach ihrer Eltern. Ihr Bruder Franz hat die Familie verlassen und ist nie wieder zurück gekehrt. Er hat die Bedingungen zuhause nicht mehr ertragen können. Hedwigs Mutter behandelt ihre Tochter zeit ihres Lebens herablassend und lieblos, Grund dafür ist auch das schlechte Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter, das von viel Grausamkeit geprägt war. Man kann also sagen, dass sie ihr eigenes Trauma an ihre Kinder weitergab.

Hedwig versucht stets aber vergeblich die Liebe und Zuneigung ihrer Mutter zu gewinnen, die sie mit Missachtung und Desinteresse straft, ihr jedes aufkommende Selbstwertgefühl raubt. Das Haus ihrer Eltern steht sinnbildlich für das Gefängnis, aus dem Hedwig auszubrechen versucht. Der gesamte Roman, abgesehen von Rückblicken, spielt sich in eben jenem Haus ab. Hedwig plagt das schlechte Gewissen, wenn sie ihre Eltern verlässt, es scheint ihr unmöglich, sich von diesen zu befreien. Die ablehnende Haltung der Mutter trifft selbst beim Lesen hart. Als Hedwig sich dank der Hilfe ihrer Schwester Isabel immer mehr gegen das Elternhaus aufzulehnen versucht und ihre eigenen Wünsche erkennt, scheint auch das Haus ihr Zeichen zu senden. Ein guter Freund ihres Bruders Franz, Moritz, nimmt außerdem Kontakt zu ihr auf und bietet ihr eine Möglichkeit, ihre Zeichenkünste unter Beweis zu stellen. Allerdings sind nicht alle von Hedwigs Unterstützern real.

Und heute weiß ich, der Schmerz meiner Eltern ist nicht mein Schmerz.

Seite 169

Ina Maschner thematisiert psychische Erkrankungen ebenso wie ein gefühlskaltes Elternhaus, das den Kindern jeglicher Selbstständigkeit beraubt, indem es sie manipuliert und von sich abhängig macht. Hedwig wird klein gehalten, sie wird gedemütigt und ihre Bedürfnisse sind konsequent fehl am Platz. Das Verschwinden des Bruders nimmt sie mit, auch wenn sie lange hofft, ihn wiedersehen zu können. Die Zeitsprünge verraten, dass auch Gretel, Hedwigs Mutter unter ihren empathielosen Eltern litt und sich in der Gegenwart nur noch in Telenovelas flüchtet, sich selbst aufegegeben hat. Hedwigs Vater hingegen liebte eine andere Frau und wünschte sich ein gemeinsames Leben, zu dem es nie kommen sollte. Alle Sehnsüchte der Bewohner des Hauses scheinen in diesem festgehalten zu werden, genau wie die Familie selbst. Hedwig aber will den Absprung schaffen und raus in die Welt. Ein zutiefst menschlicher Roman, der uns deutlicher denn je macht, wie stark uns Bezugspersonen in frühesten Jahren prägen und wie gravierend die Folgen sein können.

Fazit

Beeindruckendes Debüt, das unter die Haut geht und schonungslos ein toxisches Elternhaus offenbart, das den Kindern ein eigenes Leben verwehrt.

Ina Maschner

Ina Maschner, geboren 1992 in Priem am Chiemsee, ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie studierte Germanistik mit dem Schwerpunkt Schauerliteratur. Ihr Debütroman ist Der Riss in der Wand.


Der Riss in der Wand

von Ina Maschner
Diederichs | 2023 | 176 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag | ISBN: 978 3 424 35131 6 | 20.00€
Zum Buch


Ich danke dem Bloggerportal für das mir zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

2 comments

  • Livia says:

    Liebe Zeilentänzerin

    Das Buch habe ich mir auch schon auf die Wunschliste gepackt und es freut mich riesig (und macht noch neugieriger) dass es dir so gut gefallen hat.

    Alles Liebe
    Livia

    Reply

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