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Autofiktion

Die Scham – Annie Ernaux

Ihr Lieben, endlich folgt mein zweiter Beitrag im Kalenderjahr 2022. Glücklicherweise komme ich gerade sehr viel häufiger zum Lesen, als das noch im Dezember der Fall war, was insbesondere an der Vorweihnachtszeit gelegen hat. Mein erster Titel im Januar war »Die Scham« von der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux, die in diesem Buch ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Kindheit thematisiert, welches das Gefühl der Scham, das fortan einen großen Raum in ihren Gedanken einnimmt, erzeugt. Erschienen ist das Taschenbuch im November 2021 bei Suhrkamp.

Inhalt zusammengefasst

Juni 1952: Die kleine Annie ist gerade zwölf Jahre alt, als sie mitansehen muss, wie ihr Vater versucht ihre Mutter umzubringen. Als sich die Familienmitglieder beruhigt haben, versucht das junge Mädchen den traumatischen Vorfall zu vergessen. Ein halbes Jahrhundert später stößt sie auf ein altes Foto, das die Erinnerungen erneut aufkommen lässt. Dabei setzt sie sich mit dem Umgang ihrer Eltern untereinander, den ärmlichen Verhältnissen in ihrer Familie und dem damaligen Wunsch nach sozialem Aufstieg auseinander.

Wie war »Die Scham«?

Es ist er 15. Juni 1952, als ein junges Mädchen miterleben muss, dass der Vater versucht die eigene Mutter zu töten. Dieser Vorfall ist auch der Kern des gesamten Buches und lässt die Schriftstellerin in ihre Vergangenheit zurück blicken. Mit einem Beil, dass er aus einem Klotz entfernte, will der Vater seine Frau erschlagen, als diese nach dem Kind schreit und er schließlich von ihr ablässt. Dass die Familie im Anschluss eine Radtour unternimmt, so als wäre nichts geschehen, zeigt die eigentliche Tragik. Anschließend wurde der Vorfall nie wieder thematisiert.

Annie Ernaux spricht von religiösen und sozialen Zeichen, die ihr damaliges Denken und Fühlen bestimmten. Ihre Eltern, ungelernte Arbeiter, sind in einer Kneipe tätig. Die Familie lebt in äußerst bescheidenen Verhältnissen in der normannischen Provinz. Es dauert ganze 44 Jahre, bis das schlimmste Ereignis ihrer Kindheit erneut in ihr wachgerufen wird. Nie hat sie darüber sprechen können und niemand im Umfeld der Familie hat etwas geahnt. Für die junge Ernaux bedeutete die Tat des Vaters eine Herabsetzung ihrer Selbst und machte sie fortan zu einem unsicheren und angreifbaren Menschen.

Anne Ernaux beschreibt das Leben nach dem Vorfall als zutiefst schambesetzt. Im Buch geht sie auf die problematische Situation nur am Rande ein. Im weiteren Verlauf schildert sie das Leben in ihrem Geburtsort, die dortigen Verhältnisse und die Herausforderungen des Besuchs einer katholischen Privatschule. Die Aneinanderreihung von Orten und Menschen empfand ich zeitweise als sehr mühsam. Ich mochte hingegen die klugen Aussagen und den Mut über eine sehr persönliche Geschichte zu sprechen, deren Offenlegung einem Menschen sicher viel abverlangt. Die Schreibweise konnte mich nicht gänzlich berühren, dennoch glaube ich, dass mir andere Werke von Annie Ernaux um Einiges besser liegen werden.

Fazit

Ein guter Einstieg in die Bücher von Annie Ernaux, auch weil der Titel nur knapp 100 Seiten beinhaltet und die herausfordernde Kindheit der Schriftstellerin schon erahnen lässt.

Annie Ernaux

Annie Ernaux, geboren 1940 in Lillebonne, Frankreich, ist eine französische Schriftstellerin. Die meisten ihrer Werke sind autobiografisch. Sie studierte in Rouen und Bordeaux und arbeitete anschließend als Lehrerin am Gymansium und am College. Ihre Bücher erschienen ab 1974 und sind sehr erfolgreich.


Die Scham

Annie Ernaux
Aus dem Französischen von Sonja Finck
im Original erschienen unter dem Titel »La honte«
Suhrkamp | 2021 | 110 Seiten
Taschenbuch | ISBN: 978 3 518 47180 7 | 11.00€
Zum Buch


Mein erstes Buch von Annie Ernaux konnte mich noch nicht ganz mitnehmen. Ich bin nun gespannt auf »Das Ereignis«.

About Author

Ich (w, 36 Jahre) komme aus Berlin und lebe nach längeren Stationen in Hamburg und Freiburg nun in Wiesbaden. Ich mag Bücher und die Fotografie. Hier versuche ich beides miteinander zu vereinen.

2 Comments

  • Livia
    9. Januar 2022 at 7:22 pm

    Liebe Zeilentänzerin

    Von Annie Ernaux möchte ich schon lange einmal etwas lesen, nachem Maria Christina Piwowarki immer so intensiv von ihr schwärmt, aber ich habe es bisher einfach noch nicht geschafft.

    Es freut mich aber sehr, dass dir das Buch einen Einblick in Ernaux‘ Leben und Schaffen ermöglicht hat und ich hoffe sehr, dass ich es dir bald nachtun und ein Buch von Ernaux lesen darf.

    Alles Liebe
    Livia

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    • Zeilentaenzerin
      22. Januar 2022 at 3:44 pm

      Hallo Livia. Ich wollte auch schon länger etwas von Ernaux lesen und bin froh, nun begonnen zu haben, auch wenn mir „Die Scham“ nicht zu hundert Prozent zugesagt hat. Ich bin gespannt auf das, was ich von ihr demnächst lesen werde.

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