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Gesellschaft & Geschichte

Rückkehr ins Leben: Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft – Jens Söring

Meine Lieben, nachdem ich im letzten Jahr sehr überwältigt war von Jens Sörings Geschichte und der unglaublich langen Haftzeit in den Vereinigten Staaten, habe ich mich auch nach dem Lesen seines Buches »Nicht schuldig! 33 Jahre US-Haft für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe« viel mit dem Fall auseinandergesetzt, der nach dem Empfinden vieler einer der größten Justizirrtümer in den USA darstellt. Im Dezember 2019 kam Jens Söring nach über 33 Jahren auf Bewährung frei und wurde in sein Heimatland abgeschoben. Über sein erstes Jahr außerhalb der Gefängnismauern und zurück in Deutschland schreibt er in seinem neuesten Werk »Rückkehr ins Leben – Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft«. Veröffentlicht wurde das Buch bei C. Bertelsmann im September 2021.

Inhalt zusammengefasst

Unfassbare drei Jahrzehnte saß Jens Söring in US-amerikanischer Haft, weil er die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom ermordet haben soll. Die Zweifel an seiner Schuld sind auch heute noch ungebrochen. Fast sein gesamtes Leben hat Söring hinter Gefängnismauern verbracht, er war gerade 19 Jahre alt, als er inhaftiert wurde. Am 17. Dezember 2019 dann, wird er auf Bewährung entlassen und mit 53 Jahren beginnt für ihn ein neues Leben. Seine ersten Eindrücke in Freiheit, die Herausforderungen des Alltags, ganz neue Erfahrungen mit für uns selbstverständlichen Dingen, aber auch schmerzhafte Erinnerungen an die Zeit im Gefängnis schildert Jens Söring in diesem Buch sehr eindringlich.

Wie war »Rückkehr ins Leben – Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft«?

Vorweg möchte ich euch direkt am Anfang meiner Rezension auf meinen Beitrag zum Buch von Jens Söring verweisen, das ich vor gut einem Jahr gelesen habe. Alle Hintergründe zum Fall sind dort nachzulesen. Auf diese werde ich folgend nicht mehr eingehen, es soll hier primär um den neuen Titel gehen. Wie auch schon vor einem Jahr war ich auch nach dem Lesen von »Rückkehr ins Leben – Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft« überwältigt. Bereits der Umstand, dass ein Mensch wahrscheinlich 33 Jahre unschuldig unter unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis saß, macht tief betroffen. Hinzu kommen die vielen Gefühle, die sich während der Auseinandersetzung mit dem Fall und dem Lesen der Bücher einstellen. Anders als letztes Jahr liest sich dieses Buch aufgrund von Sörings Haft-Entlassung natürlich sehr viel hoffnungsvoller und somit leichter.

Die Erfahrungen im Gefängnis spielen immer wieder auch eine Rolle, hauptsächlich aber blickt Söring positiv in die Zukunft. Mir gefiel auch hier wieder der typische Humor, mit dem der Autor seine Geschichte erzählt. So wird seinen Leser:innen schnell bewusst, dass das neue Leben in Freiheit für Söring zwar einerseits das größte Glück darstellt, gleichzeitig aber auch viele Ängste in ihm auslöst. Denn während er so viele Jahre im US-Bundesstaat Virginia in Haft saß, drehte sich das Leben der Menschen draußen weiter. So kennt er das vereinte Deutschland nicht und hat die vielen technischen Entwicklungen verpasst, die ihn anfangs vor große Probleme stellen. Eine der wichtigsten Fragen, nämlich ob er einem Menschen je wieder würde vertrauen können, ist außerdem allgegenwärtig. Schließlich war es seine erste große Liebe, die ihn verraten hatte.

Einige von uns beginnen zu tanzen, dann kommt der große Moment, die Uhr schlägt zwölf. Für den Rest der Welt beginnt ein neues Jahr, für mich beginnt ein neues Leben.

Seite 99

Eine Gastfamilie aus Hamburg nimmt Jens Söring nach seiner Entlassung Ende 2019 bei sich auf. Der kleine Hund seiner Mitbewohner bereitet ihm zu Beginn Unbehagen, denn Hunde dienten in seinem bisherigen Leben ausschließlich zur Einschüchterung der Gefängnisinsassen. Die große Auswahl beim Bäcker und die Vielfalt an Lebensmitteln überfordern Söring anfangs enorm. Zudem bricht wenige Monate nach seiner Abschiebung nach Deutschland die Corona-Pandemie aus, mit deren Umgang sich der Autor im Buch zwangsläufig auch befasst. Für ihn stellt dieser Zustand eher eine Hilfe dar, denn die plötzliche Entschleunigung lässt ihn Stück für Stück im neuen Leben ankommen. Sehr berührend fand ich die Erinnerung an eine Frau, mit der Jens Söring Anfang der 2000er Jahre eine anderthalbjährige Beziehung führte, die aber daran zerbrach, dass seine Anträge auf Bewährung allesamt abgelehnt wurden.

Mir gefällt die gute Mischung aus aktuellen Eindrücken und Erlebnissen in Freiheit, Rückblicke der Haft-Zeit und die allgemeine Kritik am US-Justizsystem, die Jens Söring mit viel Hintergrundwissen verdeutlicht. Er gewährt seinen Leser:innen Einsichten in seinen jahrzehntelangen Gefängnisalltag, der vor allem trist und hoffnungslos war. Sein unbändiger Optimismus und Humor und die vielen Anekdoten machen das Gelesene leichter verdaulich. Ich habe das Buch an einem Stück durchgelesen, so interessiert war ich an dem, was Jens Söring nach seiner Haft-Entlassung zu erzählen hatte. Am Ende stimmte mich sehr traurig, dass man ihn trotz zahlreicher Ungereimtheiten im Prozess und großen Bedenken an seiner Schuld, lediglich auf Bewährung frei ließ. Wer sich genauer mit dem Fall auseinandersetzt, wird erhebliche Zweifel an der Schuld von Jens Söring feststellen. Zu seinen großen Unterstützern zählen Rechtsanwälte, die ehemals stellvertretende Staatsanwältin und auch Bestsellerautor John Grisham, der sich als Rechtsanwalt bestens mit dem US-Justizsystem auskennt und intensiv mit dem Fall beschäftigt hat.

Zitate aus dem Buch

»Die Straßenlampen entlang der Autobahn und ein paar beleuchtete Lagerhäuser neben dem Rollfeld waren das Letzte, was ich von den Vereinigten Staaten jemals sehen würde. Dann stiegen wir auf in eine tief hängende, dichte weiße Wolkenschicht, die das Land unter uns verschleierte. Ich hatte Amerika hinter mir gelassen, für immer.« Seite 53

»Ich wünschte, es wäre anders gekommen, ich wünschte, Amerika hätte mir erlaubt, es weiterhin zu lieben. Immerhin hatte ich den Großteil meines Lebens dort verbracht, und in gewisser Weise hatte die USA mich zu dem Mann gemacht, der ich heute bin.« Seite 53

»Ihr neuer Freund war ein freier Mann und für sie verfügbar, sie konnte ihn sehen und fühlen, wann immer sie wollte. Ich hingegen konnte ihr keinerlei Garantie geben, jemals entlassen zu werden oder sie auch nur ein einziges Mal richtig in den Arm zu nehmen. Sie hatte nun die konkrete Möglichkeit, glücklich zu werden, die musste sie ergreifen. In den darauffolgenden Jahren schrieben wir uns regelmäßig, bis sie heiratete. Seit etwa zehn Jahren habe ich keinen Kontakt mehr zu Rebecca. Als ich nun ihren Namen in die Suchmaschine eingebe, erscheinen viele Bilder von Frauen, die denselben Namen tragen. Auf nur einem der Fotos meine ich, meine ehemalige Freundin zu erkennen, sie ist noch viel schöner als in meiner Erinnerung. Im Gegensatz zu dem Bild von Finns Familie löst dieses Foto jedoch keine Gefühlswallungen in mir aus. Ich habe diese Geschichte zu meinem eigenen Schutz tief in mir vergraben, vermutlich werde ich nie wieder einen emotionalen Zugang zu ihr finden.« Seite 123

»Vielleicht war meine größte Angst, so wie die meisten anderen Insassen zu werden. Für dieses Gefühl schämte ich mich bereits, als ich noch selber in Haft war, denn diese Menschen litten genauso an den unmenschlichen Umständen des Gefängnislebens wie ich. Trotz meines Mitgefühls empfand ich jedoch eine panische Angst, so hoffnungslos, bitter und apathisch zu werden wie die Mehrheit meiner Mitgefangenen.« Seite 228

»Insoweit spiegelt die Situation im Gefängnis das Leben außerhalb der Mauern wider: Der Staat ist kaum präsent, sich selbst überlassen gedeihen die Starken, während die Schwachen auf der Strecke bleiben, im Zweifel werden Probleme mit Gewalt gelöst. Das ist der American Way of Life in Reinkultur.« Seite 290

Fazit

Ohne die Frage der Schuld neu aufzuwerfen, ist Jens Söring ein brillanter Autor, der insbesondere durch seinen trockenen Humor und seinen klugen und informativen Erzählstil besticht. Ein so tief berührendes Leben, das zerstört schien und doch ein gutes Ende nimmt.

Jens Söring

Jens Söring, geboren 1966 in Bangkok, Thailand, ist ein deutscher Schriftsteller und ehemaliger Haftgefangener. In den Jahren von 1986 bis 2019 war er in englischen und amerikanischen Gefängnissen inhaftiert, weil ihm vorgeworfen wird, die Eltern seiner damaligen Freundin im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia getötet zu haben. Während seiner Haft schrieb er diverse Bücher, von denen auch einige ausgezeichnet wurden. Mit »Das Versprechen« kam sein Fall 2016 sogar in die Kinos. Inzwischen wurde er auf Bewährung entlassen und lebt wieder in Deutschland.


Rückkehr ins Leben

von Jens Söring
C. Bertelsmann | 2021 | 304 Seiten
Hardcover | ISBN: 978 3 570 10434 7 | 20.00€
Zum Buch


Auch dieses Buch von Jens Söring hat mich zutiefst berührt. Ich kann es jedem empfehlen, der sich für den Fall interessiert.

About Author

Ich (w, 36 Jahre) komme aus Berlin und lebe nach längeren Stationen in Hamburg und Freiburg nun in Wiesbaden. Ich mag Bücher und die Fotografie. Hier versuche ich beides miteinander zu vereinen.

2 Kommentare

  • Marie
    19. November 2021 at 11:37 am

    Das klingt wirklich nach einem sehr berührenden Buch. Schon beim Lesen deiner Rezension musste ich schlucken.
    Alles Liebe, Marie

    Reply
    • Zeilentaenzerin
      19. November 2021 at 3:25 pm

      Es ist wirklich ein sehr bewegendes Buch, das ich nur empfehlen kann! Danke dir =)

      Reply

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