Mädchen auf den Felsen - Jane Gardam

Liebe Bücherwürmer, die folgende Rezension liegt mir deshalb so am Herzen, weil die Autorin zu meinen wirklich allerliebsten gehört. Ich spreche von Jane Gardam, die den meisten unter euch zumindest ein Begriff sein dürfte. Die englische Schriftstellerin schreibt auf eine ganz eigene Art, sodass ich mich schon zu Beginn des Lesens in ihre Figuren und den Schreibstil verliebe. Auch »Mädchen auf den Felsen«, erschienen im April diesen Jahres bei Hanser Berlin, ist ein Wohlfühlbuch und gehört jetzt schon zu meinen Lesehighlights in 2022.  Erstmals veröffentlicht wurde der Roman 1978. Gardam beschreibt einen Sommer an der englischen Küste und erzählt von einer strenggläubigen Familie, deren Leben aus dem Gleichgewicht gerät, als sie das Hausmädchen Lydia einstellen.

Inhalt zusammengefasst

Ein heißer Sommer an der englischen Küste. Die Familie Marsh beschäftigt seit kurzem ein Hausmädchen, das mittwochs mit ihrer achtjährigen Tochter Margaret Ausflüge unternimmt. Lydia ist selbstbewusst, frech und sich ihrer Körperlichkeit allzu bewusst. Vor allem Margaret wird durch ihre direkte Art eine neue Welt eröffnet, die das scheinheilige System der gläubigen Familie aufzudecken droht.

Wie war »Mädchen auf den Felsen«?

Meine letzten Gardam-Bücher habe ich vor ungefähr fünf Jahren gelesen und weiß gar nicht, warum ich so lange mit einem neuen Buch gewartet habe. Als ich kürzlich »Mädchen auf den Felsen« bei Hanser entdeckte und mir das Cover sofort ins Auge fiel, wollte ich den Titel lesen. Die Art, wie Jane Gardam Geschichten schreibt finde ich einmalig. Sie haucht ihren Figuren Leben ein und macht sie für ihre Leser:innen greifbar. Auf den ersten Blick scheint in diesem Roman alles doch recht friedlich und harmonisch. Ein romantischer Küstenort in England, eine eher unscheinbare, wenn auch streng gläubige Familie. Lediglich das Kindermädchen Lydia fällt durch seine offenherzige und freche Art etwas aus dem Rahmen.

Die Eheleute Marsh gehören den Primal Saints, einer christlichen Gemeinschaft, an. Besonders der Herr des Hauses legt großen Wert auf die Bibelfestigkeit seiner Tochter Margaret, die sich in ihren Aussagen häufig auf gängige Passagen bezieht. Elinor Marsh, Mutter und Ehefrau hingegen nimmt es mit dem Glauben ihres Mannes weniger genau. Sie hat kürzlich einen Sohn zur Welt gebracht, mit dem seine große Schwester nichts anzufangen weiß. Viel lieber verbringt Margaret die Zeit mit ihrem Kindermädchen Lydia, die immer mittwochs einen Ausflug mit ihr ans Meer unternimmt. Lydia ist zunächst dankbar für ihre Anstellung, auch weil sie selbst aus einfachen Verhältnissen stammt.

Es ist so lange her. Ich bin aus der Übung. Was bricht leise? Herzen, sagte Margaret.

Seite  77

Das lauschige Setting lullt seine Leser:innen ein, die Charaktere wirken gut ausgearbeitet aber keinesfalls dramatisch, bis die Handlung immer mehr an Fahrt aufnimmt und sich während eines Nachmittagstees bei ehemaligen Freunden längst vergangene, aber tief sitzende schmerzliche Erinnerungen bei Elinor Marsh offenbaren, die aufzeigen, dass sie ihr eingeschlagener Weg nicht glücklich macht und die Vergangenheit sie hat verdrossen werden lassen. Auch Lydia muss erkennen, dass das Böse nicht immer offensichtlich und oft sehr nah ist. Die Handlung nimmt eine dramatische Wendung, mit der ich so nicht gerechnet habe. Besonders gern mochte ich die kleine Margaret, die mit ihren acht Jahren bemerkenswert klug ist und die Erwachsenen häufig dumm aussehen lässt. Gardam beeindruckt wieder einmal mit viel Sarkasmus und einem guten Blick für die düsteren Seiten einer ignoranten erwachsenen Gesellschaft.

Ich mag den schlichten Erzählstil von Jane Gardam sehr, denn trotz dieser unauffälligen Art zu schreiben, entfacht sie auch mit diesem Buch ein Feuer, das auch nach dem Lesen nicht sofort erlischt. Für mich stimmte hier nahezu alles. Ein liebevoll geschriebener Roman, klug gestaltete Figuren, ein wunderschöner Handlungsort und eine sich immer weiter anstauende giftige Atmosphäre. Für alle Jane-Gardam-Fans, aber auch solche, die es werden wollen, ist das Buch eine große Empfehlung. Ich habe mich sehr gefreut, wieder in eine sensationell konstruierte Welt der inzwischen 93-jährigen Schriftstellerin eintauchen zu dürfen.

Zitate aus dem Buch

»Na und? Die Welt war doch vorher auch in Ordnung. Wenn wir nicht da wären, würden wir auch nichts verpassen. Eis und Feuer und Schnee und Gletscher, und dann Pflanzen. Reicht doch, sollte man meinen. Vielleicht noch Dinosaurier. Wenn ich Gott wäre, hätte ich bei den Dinosauriern Schluss gemacht. Ich wäre mit alldem zufrieden gewesen.« Seite 18

»Ich bin mit allen zusammen einsam«, hatte sie gedacht. »Es wird immer so bleiben. Es gibt niemanden außer ihm.« Seite 99

»Und er war damit gesegnet, jemanden zu haben, dem er ungestraft wehtun konnte.« Seite 165

»Gott schütze diese Kinder, und ich meine Ihre, nicht die von meinem Vater. Die von meinem Vater kommen schon irgendwie klar, die werden immerhin nicht mit Jesus verkorkst.« Seite 193

Fazit

Ich liebe die Bücher von Jane Gardam, weil sie einzigartige Settings und Figuren erschafft, die mir immer sofort ans Herz gehen und die ihren Titeln Einzigartigkeit verleihen. In »Mädchen auf den Felsen« gelingt ihr das Kunststück, eine scheinbar sorgenfreie Welt zu erschaffen, deren Brüchigkeit sich immer weiter offenbart und Dunkles zutage treten lässt.

Jane Gardam

Jane Mary Gardam (eigentlich Jean Mary Pearson), geboren 1928 in Coatham, North Yorkshire, England, ist eine britische Schriftstellerin. Sie studierte am Bedford College der University of Londion Englisch und arbeitete ab 1951 als reisende Bibliothekarin für das Rote Kreuz. Mit 43 Jahren veröffentlichte sie ihr erstes Buch. Ihre Werke wurden mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Jane Gardam lebt in Sandwich, East Kent, England.


Mädchen auf den Felsen

von Jane Gardam
aus dem Englischen von Isabel Bogdan
im Original erschienen unter dem Titel »God On The Rocks«
Hanser Berlin | 2022 | 224 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag | ISBN: 978 3 446 27228 6 | 22.00€
Zum Buch


Mein Dank geht an den Hanser-Verlag, der mir freundlicherweise das Leseexemplar zur Verfügung gestellt hat.

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2 comments

  • Livia says:

    Liebe Zeilentänzerin

    Wie schön, dass du die Autorin so überzeugt empfehielst, das finde ich immer sehr schön und ich muss leider ehrlich gestehen, dass ich noch nie etwas von Jane Gardam gelesen habe...

    Das werde ich sehr bald ändern, dank dir.

    Alles Liebe
    Livia

    Reply
    • Zeilentaenzerin says:

      Danke, liebe Livia, freut mich, dass ich dich auf Jane Gardams Bücher neugierig machen konnte =)

      Reply

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