Intimitäten – Katie Kitamura

Der Roman »Intimitäten« von Katie Kitamura stand sofort nach dem ich ihn im offiziellen Programm des Hanser-Verlags entdeckte auf meiner Lese-Wunschliste. Das Buch wurde bei Hanser im August 2022 veröffentlicht und thematisiert zugleich die Herausforderungen einer Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof in Den Haag sowie auch die sich anbahnende Beziehung zwischen zwei Menschen.

Inhalt zusammengefasst

Eine Amerikanerin möchte in den Niederlanden am Internationalen Gerichtshof arbeiten und zieht nach Den Haag. Dort begegnet sie Adriaan, einem Mann, mit dem eine beziehungsähnliche Verbindung entsteht. Sie hofft, die Antwort auf ihre Sehnsüchte gefunden zu haben, bis dieser sich abwendet und ihre Nachrichten unbeantwortet lässt. Als sie dann eine äußerst herausfordernde berufliche Aufgabe übernehmen soll, entstehen in ihr existenzielle Fragen über Wahrheit und Lüge.

Das wunderschöne Cover lässt eine klassische Liebesgeschichte vermuten, dahinter aber steckt viel mehr als das. Die Erzählerin, die ihre Heimatstadt New York verlassen hat und nun aus beruflichen Gründen in Den Haag lebt, verliebt sich in einen Mann, den sie nicht so recht einzuordnen weiß. Das liegt auch an dessen ambivalent erscheinenden Verhaltensweisen. Und als dieser nach Portugal verschwindet, um dort seine Noch-Frau zu treffen, hinterlässt er viele offene Fragen. Beruflich glaubt die Erzählerin an ihre persönlichen Grenzen zu stoßen, als sie für einen angeklagten Kriegsverbrecher übersetzen muss.

Als sehr faszinierend und beeindruckend empfand ich die Informationen zum Beruf des Dolmetschers, mit dem ich bis hierhin keinerlei Berührungspunkte hatte. Sehr eindrücklich und gut recherchiert beschreibt die Autorin die berufliche Tätigkeit der Erzählerin, die sie gekonnt in die Handlung einflechtet. Das Covermotiv zeigt nicht, wie zunächst von mir angenommen, die sich abzeichnende Beziehung zwischen der Erzählerin und Adriaan, sondern sie selbst in ihrer Funktion als Dolmetscherin, während sie dem Kriegsverbrecher, zudem eine befremdliche Beziehung entsteht, etwas zuflüstert. Das Bild zeigt also auch eine Szene des Buches, was ich sehr gelungen finde.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Dolmetschen massiv desorientierend wirken kann, man kann sich dermaßen in Einzelheiten verlieren, in dem Bemühen, die einzelnen Wörter, die zu dolmetschen sind, möglichst getreu wiederzugeben, dass man den eigentlichen Sinn der Sätze nicht mehr recht erfasst: Man weiß im wahrsten Sinne des Wortes nicht, was man sagt. Die Sprache verliert ihre Bedeutung.

Seite 116

Der Erzählstil von Katie Kitamura ist hochintelligent und einnehmend, die Verknüpfung beider Handlungen geschickt umgesetzt. Die Beziehung zwischen der Erzählerin und Adriaan blieb für mich streckenweise zu oberflächlich, da keine rechte Entwicklung erkennbar war. Deutlich wird eine innere Zerrissenheit der Erzählerin ihrem eigenen Stellenwert und ihrem Platz im Leben betreffend. Ich kann das Buch in jedem Fall empfehlen, weil ich die Figur der Erzählerin, als auch die Ausführungen des Dolmetscher-Berufs und die Sprache von Kitamura hier als brillant realisiert empfinde.

Zitate aus dem Buch

»Einen Moment lang sahen Jana und ich zu, wie er das Essen verteilte. Wir wurden zu Frauen, die das Können eines Mannes bewunderten, eine absurde und ärgerliche Konstellation.« Seite 79

»Ich hatte an meiner Unsichtbahrmachung selbst mitgewirkt.« Seite 140

Fazit

Ein sehr kluger, informativer und nachdenklicher Roman, das noch eine Weile in mir nachhallen wird.

Katie Kitamura

Katie Kitamura, geboren 1979 in Kalifornien, USA, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin. 1999 graduierte sie an der Princeton University und promovierte 2005 am London Consortium. Kitamura schreibt Feuilletons und hat inzwischen mehrere Romane veröffentlicht. Sie ist mit dem Schriftsteller Hari Kunzru verheiratet.

»Intimitäten«

von Katie Kitamura
aus dem Französischen von Kathrin Razum
im Original erschienen unter dem Titel »Intimacies«
Hanser | 2022 | 224 Seiten
Hardcover | ISBN: 978 3 446 27404 4 | 22.00€
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Mein herzlichster Dank geht an den Hanser-Verlag, der mir das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.